In San Martín Sacatepéquez, Quetzaltenango in Guatemala, definieren die lokalen Gemeinschaften ihre Zukunft neu. Am Fuße des Vulkans und der Lagune von Chikabal hat eine Vereinigung von Bauern mit dem Ökotourismus einen Weg gefunden, die Umwelt zu schützen und ihre Lebensqualität zu verbessern. Gleichzeitig wurde die kommunale Verwaltung durch die Wiederbelebung des Ältestenrats bereichert, der der lokalen Regierung auf die Finger schaut. Diese lokalen Initiativen, die von der NRO Aso-Seprodi bei Unterstützung durch Misereor begleitet werden, zeigen den Aktionsradius von lokaler Gestaltung und Mitverantwortung in Richtung Zukunftsfähigkeit.
Ältestenrat
Jun K’loj Tij Wnaq ist der Ältestenrat in der Sprache der Mam. Die territoriale Selbstverwaltung in den überwiegend von indigenen Nationen bevölkerten Landesregionen Guatemalas wurde während Jahrtausenden von diesen Ältestenräten ausgeübt. Während unseres Besuchs in Laguna Seca, am Fuße des Vulkans Chikabal, treffen wir uns mit einigen der Integranten des in San Martín wiederbelebten Ältestenrats. Juan Vásquez ist der Ratspräsident; er wird begleitet von Miguel López, Andrés Pérez und Antonio Ramírez. Alle sind an die achtzig oder drüber. Miguel López, er vertritt den Ältestenrat im Städtischen Entwicklungsrat, ordnet alles ein wenig ein: „In der Vergangenheit oblag dem Ältestenrat die Rolle der Lokalregierung, in etwa vergleichbar mit der heutigen Rolle der Gebietsgouverneure. Aber spätestens mit der gesetzlichen Zulassung der politischen Parteien verschwand die öffentliche Funktion des Ältestenrats“. Als der Ältestenrat in Chikabal vor einigen Jahren erneut ins Leben gerufen wurde, zählte er mehr als sechzig Mitglieder, Frauen und Männer, allesamt Senioren, die ihre Dörfer im Rat vertreten. „Wir, die Ältesten sprechen mit dem Bürgermeister und der Lokalregierung, aber die Lokalpolitik verhält sich recht gleichgültig gegenüber der Weisheit der Alten“, erklärt Don Miguel.
Derzeit gehören dem Ältestenrat 15 Personen an. In den meisten Fällen haben die Gemeinden nach dem Tod ihres Ratsvertreters keinen Nachfolger ernannt. „Die Mitarbeit im Rat ist freiwillig; aus diesem Grund wollen die meisten nicht mitmachen. Wir stehen derzeit im Dialog mit der Gemeindeverwaltung zwecks finanzieller Unterstützung des Rats“, erklärt Don Miguel und fügt hinzu: “Es ist nicht einfach, sich in der Lokalregierung Gehör zu verschaffen. Dazu muss die uns vertretende Person gut Spanisch sprechen und vor allem keine Scheu haben, in der Öffentlichkeit und vor grösserem Publikum zu sprechen.Etwas desmotivierend ist die Tatsache, das die Politiker und die Verwaltung gerne unsere Empfehlungen überhören oder nur widerwillig unsere Petitionen in Sachen Rechenschaftspflicht und Transparenz bedienen“.
Trotz des Rückgangs seiner Mitgliederzahl und der Schwierigkeiten, sich in der Lokalregierung und – verwaltung Gehör zu verschaffen, setzt der Rat seine Arbeit zur Vertretung der Gemeinden und zur Förderung der Transparenz fort. Der Mangel an Ressourcen und die mangelnde Kenntnis der Mam-Sprache durch die Behörden behindern die Arbeit des Rates jedoch erheblich. Die mangelnde Beteiligung der jüngeren Generationen und nur sehr wenig intergenerationeller Dialog sind weitere Baustellen des Ältestenrats. Juan und Miguel versichern, dass der Rat in Chikabal weitermachen wird, schliesslich geht es darum, ihre indigene Kultur lebendig zu halten und die Lokalregierung zu mehr Transparenz zu bringen.
Zwischen Generationen
Dem Ältestenrat liegt am Herzen, die Weisheit ihrer Ahnen Vorfahren zu bewahren und an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Dazu braucht es aber Dialograeume und Berührungspunkte hin zu den Jüngeren und dies ist eine gewaltige Herausforderung. „Die jungen Leute denken, dass das, was wir als Ältestenrat tun, überholt ist“, bringt es Miguel auf den Punkt. Bisherige Versuche seitens des Rats, die Jüngeren zu interessieren oder einzubeziehen waren nicht sonderlich erfolgreich. Durch die Beteiligung von Martín, Juans Großneffen, als Ratssekretär hegt man nun die Hoffnung, Räume für den Dialog zwischen den Generationen zu schaffen, in denen sie sich über die Generationen hinweg austauschen und Wissen sowie Know-how in Vorbereitung auf den Generationenwechsel weitergeben wollen. Die Ratsmitglieder sind sich der Notwendigkeit bewusst, stärker auf die Interessen der Jüngeren Menschen einzugehen, um zu den Bereichen Verwaltung, Kultur und Territorium gemeinsame Visionen und Vorschläge auf den Weg zu bringen. Vielleicht kann es ja Interess wecken wenn Don Juan aus seiner Zeit als Bürgermeister oder Miguel als Vertreter des Ältestenrats gegenüber der Lokalregierung etwas aus dem Nähkästchen plaudert.
Richtungsweisende Umstände
Vor fast vierzig Jahren (1986) taten sich 160 Bauernfamilien in der Gemeinde San Martín zusammen und kauften als Komitee 154 Hektar Land. Man wollte den Wald roden um Kartoffeln anzubauen. Der Vulkan Chikabal mit seinem Krater und seiner Lagune bildete Teil der erstandenen Fläche. Juan García, er ist derzeit der Kopf der Vereinigung ökologischer Landwirte – kurz ASAECO wegen ihrer Initialen im Spanischen, erinnert sich während unseres Gesprächs: „Unsere ursprüngliche Idee war es, das Land für den Kartoffelanbau zu nutzen und das Wasser der Lagune zur Bewässerung zu verwenden. Aber die Behörden erklärten uns, als wir das Land bereits gekauft hatten, dass es sich um ein Schutzgebiet handelt, wo weder Wald gerodet noch Agrarnutzung betrieben werden kann. In Anbetracht dieser Situation verliessen die meisten Familien das Komitee. Und diejenigen von uns, die blieben, hatten zugegebenermassen keine Ahnung von Naturschutz oder Ökotourismus; denn dies waren die uns verbleibenden Optionen“. Mit Unterstützung des Nationalen Rates für Schutzgebiete (lkurz CONAP) und der NRO Helvetas Probosque lernten die verbliebenen 19 Familien des Komites durch Schulungen und Austauschbesuche die Erfahrungen im Bereich Umweltschutz und Ökotourismus kennen. 1999 konstituierte sich das Komitee dann als Vereinigung (ASAECO) um den Naturraum durch aktiven Umweltschutz und Ökotourismus inwertzusetzen.
Die Umweltauflagen, welche den Familien zunächst einen Strich durch die Rechnung zu machen schien, entpuppten sich umständehalber als richtungsweisend und rückten den Ökotourismus in das Blickfeld der involvierten Familien.
Während des Gesprächs kommt Juan auf den Ort zu sprechen, an dem unser Treffen sttatfindet: „Die Stelle, an der wir uns jetzt befinden, heisst Laguna Seca, [übersetzt trockengefallene Lagune]; hier befand sich ursprünglich ein kleiner Teich, den die Menschen nutzten, um zu baden oder die Wäsche zu waschen. Da es sich aber um ein Schutzgebiet handelt, waren diese Aktivitäten verboten. Leider gaben die Menschen unserer Vereinigung die Schuld an diesen Verboten. Es hat Zeit gebraucht, bis sie unser Konzept zum naturverträglichen Erholungsangebot akzeptierten“. Wie der Name Laguna seca schon sagt, ist die Lagune ausgetrocknet. An deren Stelle befindet sich ein grösserer Platz mit einem Kiosk für die Besucher; und wer möchte, kann hier am Fusse des Vulkans in Hütten oder in einem einfachen Ökohotel übernachten.
Eigene Anstrengungen und externe Unterstützung
Das Ökohotel geht auf die Unterstützung durch das UNDP der Vereinten Nationen der NRO Helvetas und dem Nationalen Naturschutzfonds zurück. Die touristische und naturschützende Infrastruktur und deren Instandhaltung wie Wanderwege, Treppenstiege, Aussichtsplattformen sowie Standtafeln bezüglich des Verhaltensnormen stemmte grösstenteils die Vereinigung selbst. Schrittweise hat es ASAECO vermocht, sich durch sein Naturschutz- und Ökotourismusangebot selbst finanziell zu tragen.
Drei Personen, welche der Vereinigung angehören, arbeiten als Naturparkwächter und erhalten ein Gehalt vom nationalen Naturschutzrat. Andere Familien der Vereinigung organisieren den Transport in geländegängigen Fahrzeugen von der Laguna seca zum Aussichtspunkt am Kraterrand. Fast alle der ingesamt 19 Familien von ASAECO konnten in irgendeiner Weise von den Touristenströmen profitieren, denn schrittweise schaffte man es, den Vulkan Chikabal und den Kratersee als Hotspot für nachhaltigen Tourismus zu positionieren. Auf die Frage, ob Juan persönlich vom Gesamtprozess rund um Chikabal profitiert habe: „Die Lagune hat mir und den anderen die Möglichkeit eröffnet, gegeben, andere für uns bis dahin neue Nutzungskonzepte kennenzulernen, die wir jetzt umsetzten und ja, der Vulkan und die Lagune haben mir geholfen, weiterzukommen“.
Kulturelle und spirituelle Bedeutung
Der Vulkan und der Kratersee von Chikabal sind zu einem Ort großer kultureller und spiritueller Bedeutung aufgestiegen. Spirituelle Persönlichkeiten der Maya Mam haben die Zone zu einem heiligen Ort erklärt. Tausende von Besuchern sowohl aus der Maya- als auch aus anderen Religionen kommen hierher, um zu beten, Opfergaben zu bringen und Zeremonien durchzuführen. Für die Maya Mam und die K’iche’-Gemeinschaften zieht der Tag der letzten Regenanbetung, die vierzig Tage nach der Karwoche stattfindet, mehr als sechstausend Menschen an; ein anderer Termin für massive Besucherströme ist der Tag des Kreuzes, Anfang Mai. Ajq’ijs, spirituelle Führer aus verschiedenen Teilen Guatemalas, führen am Ufer des Kratersees Zeremonien durch. Chikabal ist heute eines der bedeutensten Zeremoniezentren Guatemalasum. Andrés López, einer der Naturparkwächter bringt es auf den Punkt: „Dank der Touristen sind wir uns heute dem Wert unserer Kultur und unserer Sprache viel bewusster“.
Nachhaltiger Tourismus ist zur wichtigsten Einkommensquelle für die lokalen Gemeinschaften geworden und fördert die Erhaltung der Umwelt und die Wiederbelebung kultureller Traditionen. Die Lagune und der Vulkan Chikabal sind ein Beispiel dafür, wie der Tourismus eine positive Kraft für die Entwicklung der Gemeinden sein kann.
Quintessenzen für die Zukunft
Der Ältestenrat und die Vereinigung ökologischer Landwirte zeigen uns mögliche Wege in Richtung Zukunftsgfähigkeit auf: die Wiederherstellung von Selbstverwaltungsmechanismen und die naturschützende Umweltnutzung. In beiden Fällen wird der indigenen Kultur und der Spiritualität des Territoriums eine wohltuende Aufwertung zuteil: tolle Farbtupfer üfuer eine Zukunftscollage.
Wissen und Mechanismen der guten Regierungsführung brauchen gemeinsame Räume um Weitergabe und Generationswechsel hinzubekommen ohne die kulturelle Identität zu verlieren. Der Prozess des Ältestenrates macht deutlich, von welcher Wichtigkeit der Dialog und die Verbindung zwischen den Generationen ist.
Selbstorganisierte Initiativen der Gesellschaft und lokaler Gruppen wie der Ältestenrat oder der Ökotourismusinitiative zeigen, wie wichtig und machbar das Prinzip der Mitverantwortung in der loklaen Geographie ist.